Phantomschmerzen – ein unerklärliches Phänomen?!

Phantomschmerz

Oftmals denkt man mit der Amputation ist das Schlimmste überstanden und hofft langwierigen Schmerzen ein Ende zu machen. Dann kommt die Ernüchterung: Phantomschmerzen betreffen zw. 70-80 % aller amputierten Patienten! Also ein Thema mit dem sich fast jeder Amputee auseinandersetzen muss und daher möchte ich euch nachfolgend einige Einblicke inkl. möglicher Therapiemethoden geben:

Was ist Phantomschmerz?

Als Phantomschmerz bezeichnet man die Schmerzen in einem Teil von Körper, der nicht mehr da ist. Wie zum Beispiel ein Stechen/Kribbeln von den Zehen, obwohl das Bein amputiert wurde. Phantomschmerzen können bei jeder noch so „kleinen“ Amputation vorkommen – ein Finger, eine Zehe, sogar bei einem Zahn oder dem Blinddarm.

Dieser Schmerz kann sich bei Jedem ganz unterschiedlich anfühlen: Brennen, Stechen, Reißen, Kribbeln, Quetschen, Zucken, Spannungsgefühl bis hin zum Jucken.

Was sind die Ursachen für Phantomschmerzen?

Die Forscher sind sich noch nicht ganz einig woher die Phantomschmerzen eigentlich kommen. Viele Wissenschaftler sind der Meinung, dass das Gehirn eine „Karte“ vom Körper hat, und wenn diese nicht mehr mit dem Körperbild zusammenpasst werden Schmerzwellen ausgesandt.

Des Weiteren wird vermutet, dass es eine Art „Schmerzgedächtnis“ gibt. Das heißt man gewöhnt sich an chronische Schmerzen und bekommt sie noch schwerer weg. Stellen die man vor der Amputation deutlich gespürt hat (z.B. aufgrund von Schmerzen) fühlt man auch nach dem Eingriff intensiver.

Wissenschaftler fanden zudem heraus, dass sich das Gehirn reorganisieren kann, wenn ein sensorischer Input ausfällt, wie z. B. bei einer Amputation. Ganz vereinfacht physiologisch erklärt, gelangt ein sensorischer (= Wahrnehmung der Sinnesorgane) Input über afferente Nervenbahnen schlussendlich im Gehirn auf den sogenannten Gyrus postcentralis. Was nach einer griechischen Spezialität klingt, ist in Wahrheit eine Windung, die sich im Großhirn hinter der Zentralfurche befindet und Signale aus den Extremitäten und dem übrigen Körper aufnimmt. Dort gibt es verschiedene Areale mit bestimmten Zellgruppen für die bewusste Wahrnehmung eines Schmerzreizes in einem ganz genau definierten Hautareal, und zwar NUR für dieses.

Sprich auf diesem Gyrus gibt es ein Areal, was z.B. nur zuständig ist für den linken Fuß. Daneben befindet sich das Areal vom linken Bein, daneben befindet sich das Areal für die linke Hand usw. Wenn ein Areal, z.B. aufgrund einer Amputation des linken Unterschenkels nicht mehr aktiviert wird, beginnt ein regelrechter Kampf zwischen den Arealen auf dem Gyrus postcentralis.

Nicht alle Wissenschaftler stützen diese These. Andere Schmerzforscher behaupten, dass Phantomschmerzen durch peripherphysiologische Veränderungen zustande kommen. Zum Beispiel wird der Stumpf weniger durchblutet oder es besteht im Stumpf eine erhöhte Anspannung der Muskeln.

Esoteriker sagen wiederrum, man spürt das Bein, weil die Seele im Gegensatz zum Körper noch „ganz“ ist. Es gibt noch viel mehr Theorien über Phantomschmerzen (und fast jährlich werden neue aufgestellt). Und auch wenn in dem Bereich viel geforscht wird – 100%ig bewiesen konnte bisher noch nichts werden.

Der Phantomschmerz kann verschiedene Stufen erreichen. Vom einfachen „Phantomgefühl“ (man spürt die Gliedmaße als ob sie da wäre, hat aber keine Schmerzen) bis zum periodischen oder dauerhaften Phantomschmerz, der nur mit Medikamenten in Zaum gehalten werden kann.

Stress, Kälte, Wetterveränderungen, Narben, Wasserlassen, Stuhlentleerung und Geschlechtsverkehr können dabei eine Rolle spielen und Phantomschmerzen auslösen.

Bei manchen Menschen verschwinden die Phantomschmerzen nach ein paar Jahren einfach bzw. klingen auf ein erträgliches Maß ab. Andere schaffen es sie durch verschiedene Therapien in den Griff zu bekommen. Einige leiden leider das ganze Leben daran. Man kann jedoch definitiv sagen, dass eine Therapie viel wahrscheinlicher von Erfolg gekrönt ist, wenn man sie positiv angeht.

Ergänzend dazu nachfolgend ein Gespräch mit Thomas Kipping von apt Prothesen, der das Phänomen, aus seiner Sicht als Orthopädietechnikers, im tagtäglichen Umgang mit Amputationspatienten beschreibt:

Welche Therapienansätze gibt es?

Spiegeltherapie

Spiegeltherapie ist die meistgenannte Therapieform für Phantomschmerzen. Dabei stellt man sich einen großen tragbaren Spiegel zwischen die Beine – und zwar so, dass sich die „gesunde“ Seite spiegelt. Man konzentriert sich nur auf das Spiegelbild, während man einfache Kreis- oder Tippbewegung mit dem Bein macht. Dadurch soll das Gehirn verarbeiten, dass noch beide Seiten vorhanden sind und somit keine Schmerzausschüttung notwendig ist.
Es hilft nicht bei akuten Schmerzen, kann aber in der Langzeit-Behandlung die Schmerzen sehr verringern oder vertreiben. Viele Amputierte haben damit erfolgreich ihre Schmerzen bekämpft.

TENS & Neuromodulation

TENS steht für transkutane (über die Haut empfangene) elektrische Nervenstimulation.
Es werden zwei bis vier Elektroden auf die Haut geklebt. Zwischen diesen strömt elektrische Spannung, die ein Kribbeln oder Pochen auslöst. Kann etwas unangenehm sein, aber nicht schmerzhaft. Hilft auch wenn man es bei akuten Phantomschmerzen benutzt und lindert sofort die Schmerzen. Auch für Menschen, die chronische Schmerzen haben kann durch das TENS eine Minderung des Schmerzlevels erreicht werden. Dafür muss man es aber mehrmals die Woche anwenden.

Ähnlich wie die Anwendung der Tens-Geräte funktioniert auch die Neuromodulation. Hierbei werden die Elektroden neurochirurgisch als dauerhafte Lösung implantiert.

Akkupunktur

Akkupunktur ist eine bekannte Therapie für alle Schmerzen, nicht nur Phantomschmerzen. Je nachdem wo die Schmerzen sitzen werden kleine Nadeln in die Haut (meistens ins Ohr) gesteckt. Der Vorgang ist nicht schmerzhaft, kurz wie eine Spritze, und dann spürt man fast nichts mehr. Dabei gibt es 2 verschiedene Akkupunktur Vorgehen: die eine ist mit sogenannten „Dauernadeln“ im Ohr (bleiben ca. eine Woche drin). Das andere Vorgehen ist mit den „normalen“ Akkupunkturnadeln, die man am Körper gesetzt bekommt und dann nur ca. 20 Minuten im Körper bleiben, bis sie vom Arzt entfernt werden.

Wärmetherapie

Wärmetherapie erfolgt mit Pflastern, die mit Capsaicin-Extrakt (die Schärfe aus Chili) bestrichen sind. Im Gegensatz zur Capsaicin-Salbe, die man in der Apotheke bekommt dürfen die Pflaster nur in Anwesenheit eines Arztes angelegt werden, da sie sehr viel kräftiger sind. Die Stelle, an der die Pflaster liegen wird durch die Schärfe auch sehr rot und empfindlich – ähnlich wie bei einem schweren Sonnenbrand. Daher sollte man nach der Behandlung sofort Kühlen.
Obwohl die Therapie oft sehr wirkungsvoll ist, ist sie nicht sehr beliebt, da man die Prothese dann mind. einen Tag (meistens 2-3 Tage) aufgrund der „Verbrennung“ nicht tragen kann. Also wenn diese Therapie infrage kommt, sollte man die nachfolgende Regenerationszeit miteinrechnen.

Hypnose

Eines vorab: Hypnosetherapie funktioniert nur bei jenen, die diesem Thema offen und positiv gegenüberstehen. Man braucht dafür einen Fachmann/eine Fachfrau, die diese Therapie durchführt. Diese muss bei chronischen (Phantom-) Schmerzen wöchentlich wiederholt werden, damit ein Effekt eintritt.

Bei akuten Schmerzen hilft Selbsthypnose/Meditation allerdings sehr gut. Beginnend mit einfachen, konzentrierten Atemübungen bis zu tieferer Meditation hilft alles gegen akute Phantomschmerzen. Der „Trick“ dahinter ist, sich auf etwas anderes als die Schmerzen zu konzentrieren. Diese werden dadurch nach und nach komplett ausgeblendet (dauert je nach Schmerz-Intensität unterschiedlich lang). Bei starken Schmerzen ist es allerdings schwer, sich auf etwas anderes zu konzentrieren. Aber wenn man es schafft, dann ist man solange man sich konzentriert und meistens noch einige Zeit lang danach (fast) schmerzfrei.

Lasertherapie

Dabei wird die betreffende Region mit einem milden Laser bestrahlt, der bis in die unteren Regionen eindringt. Dadurch wird die Durchblutung angeregt und die Schmerzerzeugung verringert.

Ablenkung

Wenn man sich komplett in die Arbeit/in ein Hobby stürzt (sollte allerdings hohe Konzentration erfordern), dann werden die Schmerzen eine Zeit lang ausgeblendet. Leider kommen sie dann oft nach Beendigung der Tätigkeit wieder.

Tragen einer Prothese, eines Liners oder eines Silberfaden-Strumpfs

Bei vielen Betroffenen verringert sich der Schmerz, wenn sie einen Liner/Strumpf oder eine Prothese tragen. Das kann zum einen durch die sensorische Stimulation des Stumpfes erklärbar sein und zum anderen durch die Vorstellung, dass mit einer Prothese das Körperteil noch vorhanden ist und das Gehirn eine entsprechende Rückmeldung bekommt. Das Tragen eines Silberfaden-Strumpfs soll einen Faradayischen-Käfig-Effekt verursachen und somit die Schmerzen verringern.

Die Schmerztherapie mit Medikamenten

Zur Phantomschmerz-Therapie werden ähnliche Medikamente wie bei anderen neuropathischen Schmerzen (Nervenschmerzen) eingesetzt, die die Funktion des zentralen Nervensystems beeinflussen. Dazu gehören u.a.:

  • Antikonvulsiva (z.B. Gabapentin, Lyrica -bei elektrisierenden, stechenden und einschießenden Schmerzen)
  • Antidepressiva (z.B. bei dumpfen Dauerschmerzen, brennenden Schmerzen, Schlafstörungen, Stimmungsproblemen)
  • Opiate (z. B. Morphium, Tramal -allgem. bei Phantomschmerzen, sie werden der Schmerzintensität individuell angepasst)
  • Schmerzpflaster (z. B. „Versatis 5% Lidokain“ Pflaster)
  • Pflanzliche Schmerzmittel (z. B. THC)

Der Erfolg einer medikamentösen Therapie ist allerdings begrenzt. Außerdem sollte sich der Patient vor der Einnahme ausführlich von seinem Arzt beraten und aufklären lassen, da bei Schmerzmitteln deutliche Nebenwirkungen auftreten können.

Im nachfolgenden Video berichtet eine Dame die seit über 24 Jahre amputiert ist, wie sie mit Schmerzen und auch im speziellen Phantomschmerzen umgeht, und was ihr persönlich hilft aus Anwendersicht:

Ich hoffe euch damit einen umfassenden Überblick zum Thema Phantomschmerzen gegeben zu haben. An dieser Stelle ein großes Dankeschön an Corinna (Initiatorin des Österreichischen Amputiertenverbands) und Christina (Heilpraktikerin & Amputee), die mir geholfen haben den Artikel zu gestalten. Ich selbst bin nämlich nicht betroffen was das Thema Phantomschmerzen angeht, wollte aber trotzdem gerne darüber schreiben, da es für viele Amputierte Teil ihres Alltags ist.

Habt ihr noch weitere Tipps, wie man mit Phantomschmerz umgeht? Was sind eure Erfahrungen mit den verschiedenen Methoden? Was hat euch geholfen?

Wie immer freue ich mich über euer Feedback! 🙂

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