Peer Counseling- Hilfe zur Selbsthilfe

Peer Unterschenkelprothese

Habt ihr selbst eine Amputation hinter euch? Könnt ihr euch noch an die Sorgen und Ängste erinnern, welche euch beschäftigt haben? Wer hat euch in dieser schweren Zeit zur Seite gestanden? Wer hat verstanden was ihr durchmacht? Bei den meisten werden es Familie und Freunde gewesen sein. Darüber hinaus kann aber auch der Austausch mit Menschen die bereits Lebenserfahrung mit dem Leben ohne Bein(e)/Arm(e) haben eine Unterstützung im Rehaprozess sein. Wer kann besser verstehen was einen nach einer Amputation beschäftigt, als Jemand der selbst diese Erfahrung gemacht hat?

Mir persönlich hätte es sehr geholfen, wenn ich in den 8 Monaten im Akutkrankenhaus Jemand an die Seite gestellt bekommen hätte, der mir als selbst Betroffener meine Fragen beantwortet hätte. Anstatt mir heimlich Antidepressiva in meinen Berg von Medikamenten unterzuschmuggeln, hätte mir ein offener und ehrlicher Austausch so viel mehr gebracht in meiner damaligen Situation. Übrigens habe ich die Antidepressiva nach wenigen Tagen, gegen den Rat der Ärzte, wieder abgesetzt. Ich bin kein Freund davon, Probleme im Leben zeitweise weichzuspülen, nur damit sie einen später um so härter treffen. Ich bin Fan von klaren Ansagen und mag es gar nicht, wenn man versucht mir Sch…. als Gold zu verkaufen. Erst als ich direkt im Anschluss in die Rehaklinik kam, konnte ich bei Anderen und dann auch bei mir selbst sehen, was Alles wieder möglich ist. Das hat mir so viel Auftrieb und Kraft gegeben, dass ich wieder Lust auf das Leben hatte, auch ohne meine Beine.

Aus diesem Grund war ich auch dieses Jahr wieder Teilnehmerin der Peers im Krankenhaus-Schulung in Berlin. Peers aus ganz Deutschland treffen sich jedes Jahr im November in Berlin für zwei Tage, um alte Wegbegleiter wieder zu sehen und neue Verbündete kennenzulernen. Initiiert wird das Projekt seit 2014 vom UKB Unfallkrankenhaus Berlin, der DGUV Deutsche gesetzliche Unfallversicherung, der AOK und dem BMAB Bundesverband für Menschen mit Arm- oder Beinamputation.

Was bedeutet Peer Counseling?

Peer Counseling ist eine Beratungsform von Betroffenen für Betroffene aus den USA. Ein „Peer“ ist ein „Gleichgestellter“, „Counseling“ bedeutet „Beratung“. Peer Counseling meint die „Beratung durch Menschen, die in ihrem Leben vergleichbaren Problemstrukturen ausgesetzt sind oder in der Vergangenheit waren wie die Ratsuchenden. Diese Gespräche sollen dem Patienten Mut machen und ihn unterstützen, mit der neuen Lebenssituation umzugehen.

Mittlerweile bin ich zum dritten Mal dabei gewesen und war von Anfang an von der Wichtigkeit des Projektes überzeugt. Einmal im Jahr die Möglichkeit zu bekommen, sich mit anderen Peers aus ganz Deutschland hinsichtlich Erfahrungen auszutauschen, interessante Fachvorträge zu hören und in interaktiven Gruppenarbeiten die eigenen Fähigkeiten im Bereich Kommunikation und Gesprächsführung  zu verbessern, ist jedes Jahr eine lehrreiche Erfahrung. Das Programm von diesem Jahr findet ihr hier.

Die Organisatoren geben sich immer sehr viel Mühe bei der Gestaltung des Programms und versuchen passende Referenten für die einzelnen Themenblöcke zu gewinnen. Aufgrund der stark gestiegenen Teilnehmerzahl in den letzten Jahren, war es dieses Jahr leider etwas schwierig bei den interaktiven Parts ein Feedback zur Verbesserung des eigenen Gesprächsstils zu erhalten. Jedoch denke ich, dass dies für Peers die ganz am Anfang stehen eine wichtige Hilfestellung wäre.

Vorletztes Jahr haben sich alle Peers auf folgende Grundsatzregeln geeinigt was die Basis unserer Arbeit bilden soll:

  1. Sei du selbst!

  2. Gesprächsrahmen setzen

  3. Zuhören

  4. wertungsfreie Beratung

  5. Erkenne die Gefährdung des Gegenüber

  6. (eigene) Grenzen beachten

  7. keine Produktwerbung

  8. kein Honorar erwarten

  9. Positives unterstützen (Negatives nicht verstärken)

  10. Eigene Amputation nicht in den Vordergrund stellen

Mein persönlich absolutes Highlight dieses Jahr war aber der fantastische Vortrag von Matthias Berg. Ich kannte ihn bereits aus dem Fernsehen, da er im ZDF teil des Moderatorenteams der Paralympics ist und in der Vergangenheit selbst sehr erfolgreicher Sportler war. Zudem hat er eine Karriere als Jurist und Horn-Solist vorzuweisen, der auf den Bühnen dieser Welt zu Hause ist. Findet ihr noch nicht beeindruckend genug? Wenn ich euch jetzt sage, dass er das Alles ohne Arme macht, infolge einer Conterganschädigung, dann fragt man sich im ersten Moment wie das möglich ist.  In seinem 1,5 stündigen Vortrag hat er uns mitgenommen auf die Reise seines Lebens und von den guten und schlechten Erfahrungen erzählt mit dieser Behinderung geboren zu sein. Seine Geschichten haben uns Alle zum Lachen, aber auch zum Nachdenken animiert. Ich denke die Anregungen, die wir durch ihn bekommen haben, waren ein super Abschluss für unsere Veranstaltung.

Wenn ihr noch auf der Suche nach einem Weihnachtsgeschenk seid, dann schaut euch mal das Buch von Matthias Berg an „Mach was draus“ (auch als Hörbuch erhältlich).

Falls der ein oder andere von euch jetzt Interesse hat, sich auch als Peer zu engagieren, die nächste Schulung findet am 22./23.11.2019 in Berlin statt. Die Möglichkeit zur Anmeldung wird ab Mitte 2019 durch den BMAB wieder zur Verfügung gestellt werden.

Habt ihr noch Fragen zum Projekt? Kennt ihr Jemand der unsere Unterstützung brauchen könnte? Wir sind zudem immer auf der Suche nach Anlaufstellen in Krankenhäusern bei denen wir unsere Arbeit vorstellen können. Wir sind über jeden Kontakt dankbar!

Eure CarbonEla

 

 

 

5 Kommentare zu „Peer Counseling- Hilfe zur Selbsthilfe

  1. Hallo Egon, danke dir für die Infos, bin beeindruckt, was ihr schon geschafft habt! Würde mich gerne mit dir austauschen, wie ihr den Kontakt zu den Krankehäusern aufgebaut habt. Wünsche dir einen schönen ersten Advent 🙂

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  2. Guten Morgen , unsere Gruppen in Oberfranken machen Amputierten Betreuung in den Krankenhäusern in Bayern und Südthüringen schon seit den 05,05. 2000 Aber das hat der Bundesverband ihnen nicht gesagt.,
    Wir sind die Älteste SAG für Arm und Beinamputierte in Deutschland und durch unsere Arbeit haben wir ermöglicht , das es heute so viele Gruppe gibt .
    Wir wollten es nur mal Erwähnen .
    Wir gehören den BV nicht an , bin da nur als Einzelmitglied

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  3. Lieben Dank für dein Feedback 😊 Wenn du dich gerne in NRW engagieren möchtest als Peer könntest du mal beim BMAB fragen, wo Peers registriert sind in NRW oder selber mal auf der Peer Landkarte nachschauen, ich weiss aber nicht wie gut die Karte gepflegt wird…

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  4. Sehr coole Sache und danke für die vielen Informationen. Habe schon öfter davon gehört und mich auch selbst mal erkundigt wie man dazu kommen kann, auch ein Peer zu werden in meiner Region. Leider ist Berlin etwas weit für mich. Wäre toll wenn es auch hier in NRW noch Möglichkeiten gäbe sich dabei an zu schließen. 😊✌️LG mach weiter so.

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