Perspektivenwechsel mit Oliver Decker

Oberschenkelamputiert MotorradOberschenkelamputiert in Lederhose

Heute gibt es ein neues Kurzinterview und ich freue mich sehr, dass sich der liebe Oli auf meinen Aufruf gemeldet hat und bereit ist, seine Geschichte mit uns zu teilen. Oliver kenne ich aus der Gruppe „Prothesenbewegung“, einer SHG welche sich in München und Umgebung engagiert. Er ist, wie ich, ein aktives Mitglied unserer Gruppe „Peers im Krankenhaus“. Warum ihm die Beratung von anderen Amputierten am Herzen liegt und was seine größte Stütze war, als sein Bein amputiert werden musste, erzählt er uns nachfolgend:

1) Was war der Grund für deine Amputation und seit wann bist du amputiert?

Am 11.08.2011 war ich mit dem Motorrad, zusammen mit meinem Sohn, zu einem Schnellrestaurant unterwegs. Auf der Rückfahrt wollte ich in einer Rechtskurve einen anderen Motorradfahrer überholen, diese war wegen des hohen Mais nicht einsehbar. Ich bin auf die Gegenfahrbahn geraten und dort mit einem entgegen kommenden Pkw frontal zusammen gestoßen.

Vermutlich bin ich mit meinem Knie an der A-Säule hängen geblieben. So lassen es zumindest die Bilder vom Unfall deuten. Den Abflug habe ich nicht mitbekommen. Erst das Rutschen auf dem Asphalt war mir wieder bewusst. Ich lag also auf der Straße und konnte mich nicht aufsetzen, da der Schulterknochen gesplittert war. Ich hatte Schmerzen in den Beinen und dachte, dass diese wahrscheinlich gebrochen sind. Ersthelfer banden mir das eine Bein ab. Da dachte ich schon, das muss wohl etwas mehr bluten. Irgendwann kam der Notarzt und man verfrachtete mich in den Rettungshubschrauber.

Meinem Sohn ist außer einer Schürfwunde und einem verknacksten Fuß zum Glück nichts passiert.

Meine nächste Erinnerung hatte ich im Aufwachraum. In einem kurzen Moment habe ich registriert, dass mir das linke Bein amputiert wurde. Später kamen meine Frau und mein Bruder ins Krankenhaus, die mir die Amputation auf meine Frage hin bestätigten. Da meine Wundheilung zügig von statten ging, wurde ich 3 Wochen später bereits auf Früh-Reha nach Bad Endorf gebracht (Simseekliniken). Dort bekam ich nach einer Woche eine Lungenembolie, die jedoch frühzeitig erkannt und behandelt wurde. Warum Früh Reha? Außer der Amputation war auch mein Sprunggelenk mehrfach gebrochen, sodass eine Prothesenanpassung nicht möglich war. Ich durfte den „gesunden“ Fuß ja nicht belasten.

4 Wochen später wurde ich in Augsburg erneut am Sprunggelenk operiert und nach 14 Tagen nach Hause geschickt. Nach weiteren 6 Wochen Aufenthalt zu Hause, war die Heilung soweit abgeschlossen, dass ich das rechte Bein voll belasten durfte.

Als Reha-Klinik hab ich mir Bernried am Starnberger See ausgesucht. Hatte ja keine Ahnung, dass Orthopädie und Orthopädie auch 2 Paar Stiefel sein können. Ich war dort in dem Jahr der einzige Patient mit einer Amputation. Dafür genoss ich deren volle Aufmerksamkeit. In Bernried bekam ich auch meine erste Prothese und machte meine ersten Gehversuche. Kurz vor Weihnachten war ich dann wieder daheim.

Angefangen habe ich mit einem 3R80 von Otto Bock. Nach ca. einem ¾ Jahr beantragte man mir das C-LEG.  Ich nahm dann gleich an dem Programm „Fit for Genium“ teil. 1 Jahr später wurde das Genium auch beantragt und nach diversen Problemen mit der Krankenkasse auch genehmigt.

2) Was ist die größte Veränderung für dich mit der Amputation gewesen?

Ich habe meine Familie mehr zu schätzen gelernt. Manchmal vergisst man im Alltag, wie wichtig und wertvoll die Familie ist und welche Leistungen sie erbringt.

3) Was ist dein größter Ansporn gewesen wieder fit zu werden bzw. fit zu bleiben?

Zum einen habe ich erkannt, wie wichtig für mein Umfeld mein positiver Umgang mit meiner Geschichte war und wie es ihnen geholfen hat, dass ich ihnen das Gefühl gab, ich packe das schon. Woher meine positive Einstellung kommt, weiß ich nicht genau. Ich vermute es gibt 2 Faktoren: Erstens war ich selbst am Unfall schuld und zweitens wurde außer mir Niemand ernsthaft verletzt. Zudem habe ich meinen Humor nicht verloren- das hilft schon viel.

Ein weiterer Ansporn war für mich, dass ich wieder Motorrad fahren wollte. War auch schon ein halbes Jahr nach der Amputation auf der IMOT in München und habe Probe gesessen. Ich lies mir aber noch ein Jahr Zeit, bis der Wunsch größer wurde, es wieder zu probieren. Und es hat funktioniert. Ich fahre heute wieder sehr gerne Motorrad.

4) Welchen Rat würdest du anderen Amputierten geben?

Nicht aufgeben und das Beste aus der Situation machen.

Ich habe bereits im Krankenhaus gemerkt, dass es meinen Freunden und meiner Familie hilft, wenn man den Kopf nicht hängen lässt und zeigt, dass man mit diesem Erlebnis zurechtkommt.
Die Idee hinter dem Peer Counseling ist ja , anderen Patienten mit unserem erweiterten Erfahrungsschatz zu helfen und die entstehenden Fragen vor und nach einer Amputation beantworten zu können. Man war ja mal selber in der Situation und wusste erst mal nichts. Daher ist mir bewusst was für einen positiven Einfluss ein Beratungsgespräch von einem Betroffenen für einen Betroffenen haben kann.

5) Was möchtest du noch gerne loswerden und soll die Welt über dich erfahren?

So eine kleine Unachtsamkeit (beim Motorradfahren) wirft einen erst mal ganz schön aus der Bahn. Dank meiner positiven Einstellung und meines Humors habe ich die Situation gut gemeistert. Ja, es gibt diese Momente, in denen man auch traurig ist. Das muss sein, um das Erlebte verarbeiten zu können. Ich freue mich und ich bin stolz darauf, es gepackt zu haben. Dank der Unterstützung durch meine Familie und Freunde fahre ich seit 5 Jahren wieder mit Freude Motorrad und bin froh, dass ich trotz des Unfalls dieses Hobby nicht aufgegeben habe.

Ich denke mit seiner Geschichte spricht Oli vielen Menschen aus dem Herzen und vor allem in der Vorweihnachtszeit sollte man die Zeit nutzen, diese mit geliebten Menschen zu verbringen und dankbar für seine Familie und Freunde zu sein. Oder vielleicht habt ihr auch ein Hobby, welches euch motiviert hat wieder Gas zu geben bzw. euch beim Heilungsprozess geholfen hat. Würde mich freuen, wenn ihr eure Hobbies mit uns teilt!

In diesem Sinne wünsche ich euch Allen einen besinnlichen 1. Advent und lasst euch die ersten Plätzchen und Glühwein gut schmecken 🙂

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