Perspektivenwechsel mit Kerstin Schulz

Beinamputierte Anwenderin mit Hüftex

Heute gibts wieder einen neuen Perspektivenwechsel und zwar mit der „unverwüstlichen“ Kerstin! Wir kennen uns schon einige Jahre und laufen uns immer mal wieder über den Weg, da wir den gleichen Orthopädietechniker haben. Warum sie von mir das Prädikat „unverwüstlich“ bekommt, davon erhaltet ihr nachfolgend einen ersten Eindruck:

1) Was war der Grund für deine Amputation und seit wann bist du amputiert?

Ich habe mir 1993 ein Kreuzband gerissen und durch die darauf folgende Operation Keime in den Femur bekommen. Zwischen Sommer ’93 und Oktober ’09 folgten zahllose Operationen, mit dem Ziel, das Bein zu erhalten. Das waren in der Zeit bestimmt 150 OPs.

Durch eine der OP’s in Kombination mit der recht ausgedehnten Infektion hat sich 1996 irgendwann mein Nervus Femoralis verabschiedet, was wir aber erst sehr spät gemerkt haben, da irgendwann die Kniescheibe knöchern mit dem Femur verwachsen war und durch diese Versteifung keine Möglichkeit mehr bestand, den Quadrizeps, also die Muskeln zur aktiven Kniestreckung, zu verwenden.

2003 folgte dann ein künstliches Kniegelenk. 2004 der Versuch, den Nerv durch eine Muskeltransplantation zu reaktivieren und 2008 ein Wechsel von der Knie-TEP, da sich durch die wieder aufflammende Osteomyelitis das alte TEP gelockert hatte. Der Operateur hat das „Wechsel-Knie“ in die aktive Entzündung zementiert. Das war vermutlich nicht ganz optimal und da er versucht hat, seinen Fehler zu vertuschen auch richtig Sch… In dieser Zeit wäre ich mehrfach fast gestorben, aber weil ich stur bin hab ich überlebt.

Mein Bruder hatte bei dem Arzt irgendwann ein echt mieses Gefühl und hat eine Verlegung in eine andere Klinik organisiert. Ich selbst stand so unter Medikamenten, dass ich mich nur verschwommen erinnere. Doch auch in der anderen Klinik war mein Bein nicht mehr zu retten und so folgte im Oktober 2009 die Oberschenkelamputation. Leider ließ sich die immer noch vorhandene Infektion sehr schlecht beherrschen. Immer wieder wurde gekürzt, gespült usw. und ein Ende war nicht in Sicht.

Im Februar 2011 gings wieder ins Bundeswehrklinikum zur Nachamputation. Leider wollte der Stumpf auch diesmal nicht heilen, weil der Verschluß der Fistel wieder zum Aufflammen der Osteomylitis geführt hat. Im Bundeswehrkrankenhaus war wieder das Salami-Spielchen angesagt und Stück für Stück wurde nachamputiert. Im Februar 2013 folgte dann als letzter Ausweg die Hüftexartikulation.

Diese Situation war tatsächlich am schwersten in der ganzen Zeit. Die Qualität der Behinderung (wenn man das so ausdrücken will), war doch eine andere. Nachdem ich aber dann, nach 12 Monaten Klinikaufenthalt, meine erste Versorgung mit Beckenkorb hatte, habe ich mich in der Amputationsklinik Osterhofen recht zügig an die neue Situation gewöhnt. Erstmals seit vielen Jahren war ich schmerzfrei und später, als die ganzen Medikamente aus dem Körper waren, fühlte ich mich endlich, nach 20 Jahren zum ersten mal gesund. Die körperliche Müdigkeit und die mentale Erschöpfung war weg, ich hatte keine offenen Wunden und endlich eine Zukunft.

Leider hielt dieser Zustand der Gesundheit nur ca. 1 Jahr an, aber jetzt geht es wieder, ich kann arbeiten und der Nervenschaden im rechten Oberschenkel wird durch eine Orthese rechts ausgeglichen.

2) Was ist die größte Veränderung für dich mit der Amputation gewesen?

Sicher fragt man sich, wie man über 300 OPs und viele Jahre Klinik übersteht ohne durchzudrehen, aber ich hatte tatsächlich Glück mit meinen Ärzten, Therapeuten und den 2 Freunden, die mir geblieben waren. Die haben mich abgelenkt, mir geholfen und mich beschäftigt. Der Wert der Arbeit ist mir inzwischen bewusst und wie wichtig eine Aufgabe abseits von Reha und Therapie ist. Wer nur zu Hause sitzt, verliert das Bewusstsein dafür, dass auch andere Menschen Probleme haben.

Die Beziehung zu meiner älteren Schwester ist viel besser geworden und auch die zu meinen Eltern. Heute bin ich die, welche meinen Vater aus seiner Lethargie nach einer Krebsdiagnose gerissen hat und ich bin die Vertrauensperson meiner Mutter, wenn sie Sorgen hat. Außerdem sprechen Arbeitskollegen auch gerne mal mit mir über persönliche Probleme.

Am meisten hat sich für mich meine Einstellung geändert. Ich bin positiver und lasse mich von Kleinigkeiten nicht mehr aus der Ruhe bringen. Nicht schlecht für Jemanden der eigentlich total aufbrausend war.

3) Was ist dein größter Ansporn gewesen wieder fit zu werden bzw. fit zu bleiben?

Meine größte Motivation, auf die Beine zu kommen waren die Kinder meines Bruders. Auch die diversen Rückschläge konnte ich leichter verwinden, weil meine Familie hinter mir steht, mich unterstützt und mich auffängt, wenn es mir schlecht geht.

Zudem hat der Sport mir sehr geholfen, meinen Kopf frei zu machen. Ich war immer sportlich aktiv und das konnte ich endlich wieder ausleben. Seit 1 Jahr spiele ich Golf. Das ist der Grund, warum ich überhaupt wieder auf der Prothese stehe. Auf der Suche nach einer Betätigung, bei der die Prothese mich nicht behindert, bin ich auf diesen Sport gestoßen, der inzwischen Leidenschaft und Therapie vereint.

Auch das ich andere Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen kennen lernen durfte, die ebenfalls nie aufgegeben haben, war zusätzlicher Ansporn.

4) Welchen Rat würdest du anderen Amputierten geben?

Bei der ersten Prothese ist es wichtig, sich den Techniker vorher mal anzuschauen. Nicht jeder Techniker kann auch Prothetik. Lasst euch nicht verwirren durch den Hype um diverse Passteile. Elektronische Knie und Füße sind zwar vielseitig und oft sicherer, dafür aber schwerer und technisch anfälliger. Auch beim Schaftsystemen und der Frage nach eventueller Endo-Exo-Prothese können andere Anwender euch zwar sagen, was sie bevorzugen, aber ihr müsst damit klar kommen. Also informiert euch und wägt dann ab.

Ihr dürft euch auch nicht für euren Körper schämen. Ich gehe ins öffentliche Schwimmbad, bin oft auch ohne Prothese, nur mit Rollstuhl oder Krücken unterwegs. Ihr könnt nichts dafür, das ihr amputiert seid. Die Anderen müssen einfach damit klar kommen und Schluss.

Ihr dürft auch nicht vergessen, dass nicht nur ihr betroffen seid, sondern auch eure Freunde und Familie. Für die ist eure Amputation fast noch schlimmer, weil sie nur daneben sitzen können, ohne euch helfen zu können. Also behandelt euer Umfeld respektvoll. Jeder darf auch mal einen schlechten Tag haben, aber man sollte sich auch mal entschuldigen, wenn der Frust einen Unschuldigen erwischt hat.. Nicht jeder Blick von Fremden auf euch ist negativ behaftet. Menschen schauen halt, wenn Jemand nicht der Norm entspricht.

Sucht euch einen Verein oder ein Fitnessstudio. Geht raus und lebt! Verkriechen bringt nichts und das Leben geht weiter.

5) Was möchtest du noch gerne loswerden und soll die Welt über dich erfahren?

Ich liebe mein Leben mit allen Höhen und Tiefen. Vielleicht kann ich einige Dinge nicht mehr, aber dafür gibt es Anderes, das jetzt besser geht wie früher. Ich fühle mich wohl, so wie ich jetzt bin. Klar wäre ein intakter Körper schöner, aber das ist nun mal mein neuer Body und der ist in Ordnung.

Ich habe so viele tolle Menschen kennen gelernt, die einfach nur für mich da sein wollten und ich will ihnen und der Welt das zurück geben.

Ich bin kein Freund der Inklusion um jeden Preis. Denke aber, dass es meistens mit wenig Aufwand möglich ist, Inklusion zu leben. Ich bin außerdem der Meinung das Inklusion auch beinhaltet, dass ich der Gesellschaft etwas zurück geben muss, auch wenn ich „behindert“ bin.

Das ich nicht unbedingt überall Rabatt bekommen muss und das es durchaus in Ordnung ist, wenn zum Beispiel beim Golf, behinderte und nicht behinderte das gleiche Startgeld zahlen. Ist das nicht auch irgendwie Gleichberechtigung?

Und ich liebe es zu Reisen, auch Alleine. Es gibt nichts schöneres, als andere Länder und Kulturen kennen zu lernen.

Eine beeindruckende Geschichte die Kerstin mit uns teilt und ich stimme ihr in vielen Punkten zu. Vielleicht habt ihr noch den ein oder anderen Gedanken dazu, den ihr gern als  Kommentar posten könnt. Nachfolgend findet ihr noch einen Beitrag übers Kerstins Golfambitionen und könnt sie in Action sehen:

 

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